
Andreas Meyer Primavesi
Geschäftsleiter Minergie
Minergie – voller Sonnenkraft voraus
Gebäude gehören zu den Hauptverursachern von CO₂-Emissionen. Das freiwillige Gebäudelabel Minergie unterstützt dabei, energieeffizient zu bauen, erneuerbare Energien einzusetzen und einen hohen Wohnkomfort zu erreichen. Der Geschäftsleiter Andreas Meyer Primavesi berichtet über Dächer voller Photovoltaik (PV), Freecooling und – wieso es so wichtig ist, den Gesetzen immer einen Schritt voraus zu sein.
Warum hat Minergie die Standards 2023 angepasst?
Die letzte grosse Anpassung geschah 2017. Damals führte Minergie mit der Vorgabe der Eigenstromproduktion de facto die Photovoltaikpflicht ein. Auch mussten erstmals die Energieflüsse im Betrieb sichtbar sein – Minergie verlangte ein sogenanntes Monitoring. Immer mit dem Ziel, bei Klimaschutz, Effizienz und Komfort mehr zu fordern als gesetzlich vorgeschrieben. Sechs Jahre später ist es an der Zeit, dass Minergie als Wegbereiter der Energie- und Klimapolitik im Gebäudebereich wieder einen grossen Schritt voran geht.
Welchen Fokus setzt Minergie bei den Anpassungen?
Im Wesentlichen verschärfen wir die Standards in drei Aspekten. Erstens führen wir bei Neubauten Grenzwerte für die Treibhausgasemissionen (THGE) in der Erstellung ein, bei allen Minergie-Standards und Gebäudekategorien. Der Nachweis kann rechnerisch geschehen oder mit einem vereinfachten Verfahren. Zweitens muss die ganze nutzbare Dachfläche mit Photovoltaik-Modulen belegt sein, in Neubau und Sanierung. Drittens ist der Nachweis des sommerlichen Wärmschutzes neu mit Zukunftsdaten zu erbringen. Man beurteilt also, ob ein Gebäude die Komfortanforderungen auch in 20 Jahren noch erfüllen kann, wenn es gerade auch in Städten wohl wesentlich wärmer ist als heute.
Dabei bleiben die Effizienz, der fossilfreie Betrieb und die hohe Raumluftqualität unsere stetigen Wegbegleiter: Sie finden schon lange keine Öltanks mehr in Minergie-Gebäuden, bei uns zieht es nicht durch die Ritzen im Winter und die mechanische Lüftung befördert Pollen, Krankheitserreger, aber auch Hitze im Sommer verlässlich aus dem Gebäude.
Wird der Minergie-Standard damit komplizierter und teurer?
Nicht wesentlich. Der Nachweis des sommerlichen Wärmeschutzes ist beispielsweise immer noch in den meisten Fällen ohne Simulationen möglich – aber bei Neubauten wird es ohne Freecooling langsam knapp. Auch bei den THGE in der Erstellung müssen die meisten von uns noch Erfahrung sammeln, wie man ein Gebäude optimieren kann. Einfach auf Holz statt Beton setzen ist zu einfach. Das neue Minergie-Tool hilft, die wichtigen Stellschrauben zu erkennen. Und ja, eine grosse PV-Anlage kostet mehr als eine kleine Anlage – aber sie produziert dafür auch mehr Strom!
Gibt es weitere Neuerungen bei Minergie?
Der Zusatz ECO wurde in seinen Kernthemen Ökologie, Gesundheit und Kreislauffähigkeit geschärft und insgesamt erheblich vereinfacht. Dazu kommt das neue Minergie-Areal. Neben den bekannten Minergie-Themen findet man dort erstmals auch Anforderungen an den Aussenraum, an die Mobilität und die Organisation in Entwicklung und Betrieb.
Wieso braucht es zusätzlich zum Gesetz ein freiwilliges Gebäudelabel?
Wenn wir im heutigen Tempo weitermachen, wird es eng für die Pariser Klimaziele. Wir wollen Orientierung bieten für diejenigen, die mehr machen und schneller sein wollen. Minergie arbeitet eng mit den Kantonen und auch dem Bund zusammen. Viele Vorgaben, die Minergie einführt, führen die Kantone später als Gesetz ein, sobald die Praxis gezeigt hat, dass sie machbar und effektiv sind.
Aktuell zertifiziert Minergie etwa 1’800 Gebäude pro Jahr – geht das so weiter?
Erfahrungsgemäss reduziert sich die Anzahl Projekte nach Ablauf der 12-monatigen Übergangsfrist etwas – um sich dann innert 1-2 Jahren wieder auf ähnlichem Niveau einzupendeln. Ich bin aber kein Prophet – je nach Entwicklung des Umfelds kann das auch anders rauskommen, sei es aufgrund der Konjunktur oder der Energie- und Klimapolitik.
Apropos Energie- und Klimapolitik: Der Anteil der Sanierungen bei Minergie liegt bei etwa 15 % der Zertifikate. Reicht das?
Wir wären froh, wenn noch mehr nach Minergie saniert würde. Darum gehen wir die Vorgaben bei der Minergie-Sanierung immer recht pragmatisch an – sie sind einiges tiefer als im Neubau, sei es bei den Anforderungen an die Gebäudehülle, an den Luftwechsel oder neu auch die Eigenstromproduktion. Aber ich habe grossen Respekt vor allen, die sich an eine energetische Gesamtsanierung wagen. Was klar ist: Wir müssen etwas tun mit den etwa 1 Millionen Gebäuden, die den Anforderungen 2050 nicht mehr genügen werden. Und das besser jetzt als dann in 20 Jahren in grosser Hektik.
Andreas Meyer Primavesi
Geschäftsleiter Minergie